Der Schimmelreiter

Schauspiel in fünf Bildern nach einer Novelle von Theodor Storm von Paul Barz.

Trutz Blanke Hans. Kunst trifft Küstenschutz. 

Inselglocke 2-2014

Wer nicht deichen will, muss weichen, so hieß es schon früher, und wie wir gerade gelesen haben, ist dies als Tatsache bis weit über die Küstenlandstriche hinaus bekannt. In Anbetracht der neuen Strandmauer und der sich im Norden Baltrums auftürmenden Schutzdüne sind die Baltrumer und ihre Gäste derzeit in diese Thematik einbezogen - die Wuchtigkeit und Wichtigkeit der Maßnahme doch Tag für Tag vor den Augen und in den Ohren. 

Kunst trifft Küstenschutz - das war im vergangenen Jahr ein Projekt des Tidenhusvereins, das, wie wir auf der Jahresversammlung neulich gehört haben, fortgesetzt werden soll. Spenden werden bereits gesammelt, um in die neu geschaffene künstliche Dünenlandschaft mit ihren Wegen und Scharten ein weiteres vom Künstler und Steinhauer Bernd Clemenz-Weber zu schaffendes Sandsteinquadermotiv einzubringen. 

Auch die Künstler der schau-spielerischen Zunft auf Baltrum haben sich erneut des Themas Küstenschutz angenommen. Der Schimmelreiter von Pauls Barz nach der weltberühmten Novelle von Theodor Storm war bereits in den Jahren 2001 und 2002 auf der Inselbühne und beeindruckte Mitspieler wie Zuschauer ob der Verdichtung und Tiefgründigkeit des Dramas wie der intelligenten Umsetzung. Nun war der zeitliche Abstand groß genug und das Thema präsent, genügend potenzielle Darsteller zur Hand und zur Stelle, sodass die Theatergruppe des Kultur- und Sportvereins einen neuen Anlauf wagen wollte. Der bewährten - damals noch von Wilhelm Klünder begonnene und dann von Jürgen Janßen zu Ende geführte - Inszenierung wurde gehuldigt, und vor allem der kluge und eindrucksvolle Bühnenentwurf von Torsten Moschner übernommen. Dieser ist auch diesmal wieder für den Bühnenbau verantwortlich und gleichzeitig Hauptdarsteller, der Schimmelreiter. Für die künstlerische Gestaltung der klappbaren Bühnenelemente ist der Baltrumer Cartoonist und Grafiker Denis Metz zuständig, der die strenge Weite der Marschlandschaft gleich wie die bedrückende Enge des Bauerndorfes an der Nordsee gleichermaßen eindrucks- wie wirkungsvoll abzubilden weiß. Die Regisseurin Sabine Hinrichs hatte Glück, dass sich so viele Baltrumer Jungs und Männer bereit erklärt haben, beim Schimmelreiter mitzuspielen - das ist nicht selbstverständlich, wo doch alle auf Baltrum ihre Arbeit zu tun haben und gerade im Sommer die Freizeitstunden eng bemessen sind. 

Doch es ist geglückt, und beim Schimmelreiter spielen gleich vier Neue mit! 

Das Schicksal des Hauke Haiens, der mit seinem Schimmelreiter über die Marsch reitend Geschichte schreibt, indem er einen neuen Deich entwirft und bauen lässt, wird in einer Rückschau in Einzelszenen dargestellt - wir wissen von Beginn an, dass er die Sturmflut, die seinen gerade neu gebauten Deich wieder ins Meer reißt, nicht überlebt. Zum Glück, dass wir das schon wissen, so hält sich das Entsetzen vor dem düsteren und absehbaren Scheitern des Haukes vor Meer und Flut wie an sich selbst in gefühlsmäßig nachhaltigem Rahmen. So nachdenklich die Geschichte im Ganzen stimmen mag, so hoffnungsvolle und fröhliche Momente gibt es im Verlaufe des Abends zu sehen. Hauke Haien hat einen Widersacher im Dorf, den Ole Peters. In einer Schulszene wird deutlich, dass sich die beiden schon als Kinder nicht mögen und gegeneinander wetteifern. Schüler Lennard Bramstedt debütiert als der junge Ole kurz, auf den Punkt und überzeugend. Eike Moschner spielt den jungen Hauke ebenso wirkungsvoll - im Verlauf des Stücks übernimmt Vater Torsten die Rolle, leidenschaftlich, temperamentvoll und routiniert. Der ältere Ole steht ihm in nichts nach: Tobias Poley spielt die zweite männliche Hauptrolle als wäre er ein alter Hase, dabei ist er zum erstem Mal auf einer großen Bühne. Ole hat dem Hauke genügend entgegenzusetzen, und am Ende ist er vielleicht der Gewinner, wenn auch mit bitterem Nachgeschmack. 

Die Frauen spielen auch hier eine wichtige Rolle im Leben. Elke Folkerts ist die Tochter des alten Deichgrafen, eindringlich gespielt von Beate Kruse. Sie wollte gerne selbst Deichgraf werden - undenkbar in einer Zeit, als das Schicksal des Landes, des Dorfes, des Hauses von Männern bestimmt wurde. Als Frau vom Hauke könnte sie ein bisschen groß sein, hofft sie. Doch ihr Glück an seiner Seite ist kurz und trügerisch und tragisch, will Hauke doch nur eines: einen neuen Deich. Volina, eine reiche Erbin, angelt sich den Ole, kann sie den Hauke schon nicht kriegen. Simone Ulrichs spielt den Part ebenso fröhlich wie verschlagen und vermag einige unbekümmerte bunte Tupfer ins Geschehen zu setzen. Letztendlich hat sie an der Seite des Ole das bessere Schicksal als Elke an der Seite Haukes. Die dritte Frau in diesem Stück ist Trin Jans, eine ältliche Jungfer, der das Leben böse mitgespielt hat. Ein bisschen wunderlich werden solche Damen, sind sie zu lange allein und zu lange in der Weite einer Landschaft gefangen, deren Himmel wie Erde wie Wasser die seltsamsten und wildesten Bilder malen. Kurz: Im Mittelalter wäre sie als Hexe verbrannt worden. Doch so viel Fortschritt herrschte wohl schon am Deich, dass man allen Mitbewohnern ihre Schrulligkeit und Existenz ließ. Eine Paraderolle für Bärbel Nannen, die die komischen Seiten des als solch angesehenen drögen Menschenschlags an der Küste herausstellt und einige Lacher für sich verbuchen kann.

Auch Haukes Vater, Tede Haien, hat es nicht leicht. Er sitzt in seiner engen Kate, ist der klügste Mann im Dorf - wird aber niemals Reichtum oder Ruhm erlangen. Mürrisch und murrend weiß Jörg Brämer sich in sein, dieses sein, Schicksal zu ergeben. Ein eindrucksvolles Debut. Ebenso wie das von Dr. Uwe Friedrich. Zum Glück kommen die Feierlichkeiten im Dorf nicht zu kurz, gilt es doch einen neuen Deich einzuweihen. Dazu kommen die Herren von der Regierung, hier in Gestalt des Oberdeichgrafen. Groß spielt er die Größe, weitsichtig und klug - und mit einem kleinen Augenzwinkern. Der alte, kränkliche Deichgraf wird von Günter Tjards gegeben. Ein großer Seufzer entfährt ihm allenthalben bei so viel Verantwortung, doch sein Schicksal ist bald besiegelt, und ein neuer Deichgraf muss her. Die Rolle ist kurz aber vielschichtig, und der ehemalige Bürgermeister von Baltrum weiß sie subtil und feinsinnig in Szene zu setzen. Der Schulmeister in Gestalt von Udo Bengen hält die Bewohner und die Geschichte zusammen. Mit großer Ernsthaftigkeit und mächtigem Wort gestaltet er das Schicksal des Dorfes mit. 

Und dann sind da noch die drei Deichbauern, Harm Harmsen (Markus Neumann), Jens Jensen (Marc Gloystein) und Boy Boysen (Denis Metz), die die ganze Arbeit tun, wie sie bei der Premierenehrung vor Bürgermeister Berthold Tuitjer verinnerlicht hatten. Drei Charaktere verkörpern die Facetten des bäuerlichen Daseins bei unseren Vorvätern. Ihr Fähnchen mal hierhin, mal dorthin schwenkend, ihre Sympathien mal diesem, mal jenem entgegenbringend, kämpfen sie sich durch die Unbillen des Lebens ohne groß Schaden zu nehmen, weder seitens böser Geister noch realer Gestalten. Klappern gehört zum Handwerk, und Murren und Meutern zu einer jeden guten Truppe, die eigentlich etwas zu sagen hat und sich gern einen Schlagabtausch mit der Obrigkeit gibt. Schließlich und letztendlich geht es um ihr Land, um ihr Leben und ihr Schicksal - da muss man schon genau hinsehen, wer darüber entscheidet. Der Deich ist nur Metapher. 

Arnim Pohris, zum ersten Mal am Mischpult hinten im Saal, hat ausgesucht schöne Musik und Geräusche zum Schimmelreiter beigesteuert, und Stephan Moschner weiß die Einzelszenen geschickt in stimmungsvolles Licht zu tauchen. Grace Lüppen hat die Kostüme ausgesucht und genäht. Martina Meyer-Leißner ist die Souffleuse. Bärbel Nannen bringt als Maskenbildnerin die Gesichter der Darsteller richtig zur Geltung. 

Alles in allem ist das richtig großes Theater, findet Regisseurin Sabine Hinrichs und ist dankbar für den bewundernswerten Einsatz ihrer Truppe. Den Gästen vom Festland ist es geschuldet, dass das Stück auf Hochdeutsch und nicht in Platt vorgetragen wird - mit norddeutschem Einschlag freilich, wie es sich gehört. 

Premiere war am Ostersonntag, dann mittwochs 14. und 29. Mai, 25. Juni, 9. und 30. Juli, 20. August, 17. September, 8. und 29. Oktober 2014. Karten gibt es im Vorverkauf in der Schatzinsel bei Familie Ulrichs oder jeweils an der Abendkasse in der Turnhalle / im Haus des Gastes ab 20 Uhr, Beginn 20:30 Uhr. 

 

Fotos Hinrichs/Nannen

 

Mitspieler/innen 2014

 

Hauke Haien

Torsten Moschner 

Hauke als Junge 

Eike Moschner 

Ole Peters 

Tobias Poley 

Ole als Junge 

Lennard Bramstedt 

Der Schulmeister 

Udo Bengen 

Der Oberdeichgraf 

Dr. Uwe Friedrich

Der Alte Deichgraf 

Günter Tjards 

Elke, seine Tochter 

Beate Kruse  

Volina, eine Erbin 

Simone Ulrichs 

Trin Jans 

Bärbel Nannen 

Tede Haien, Haukes Vater 

Jörg Brämer 

Harm Harmsen, Deichbauer 

Markus Neumann

Jens Jensen, Deichbauer 

Marc Gloystein

Boy Boysen 

Denis Metz 

 

Bühnenbau: Torsten Moschner

Bühnenbild: Denis Metz

Licht: Stephan Moschner

Ton: Arnim Pohris

Kostüme: Grace Lüppen

Maske: Bärbel Nannen

Souffleuse: Martina Meyer-Leißner

Regie: Sabine Hinrichs