Das Haus in Montevideo

von Curt Goetz



Ausverkaufte Turnhalle - begeistertes Publikum: Am Freitag Abend hat die Inselbühne Baltrum eine zauberhafte Premiere gefeiert, die einer Amateurbühne mehr als würdig ist.
Curt Goetz ist bei den Inselschauspielern sehr beliebt. Mit viel Gespür für den feinen Wortsinn des Autors hat Regisseur Jürgen Janßen in diesem Jahr "Das Haus in Montevideo" geschickt in Szene gesetzt.

Prof. Dr. Traugott Nägler, Jürgen Janßen selbst, ist Vater einer reichen Kinderschar und hat sie gut in Zucht und Ordnung. An ihr erprobt er seine Vorstellung von Sitte, Anstand und Moral, ihr versucht er die sündhafte Welt fernzuhalten. Hier herrschen Zucht und Ordnung - die Baltrumer Kinder, elfe (zwölfe) an der Zahl, spielen die altmodische Sippe mit einem solchen Vergnügen, dass es nicht nur den Eltern der jungen Nachwuchsschauspieler ganz warm ums Herz wird. Auch der mit bei Tische - von Edith Schürmann-Janßen als Martha rasch gedeckt - weilende Pastor Riesling ist sichtlich beeindruckt. Immerhin kann Gerd Klünder noch etwas von dem in die Länge gezogenen Mahl abbekommen, bevor er den Anlass seines Besuches erklärt: Josephine, die Schwester des Herrn Professors, einst wegen eines Fehltritts in Ungnade gefallen und von diesem verstoßen, ist in Übersee verstorben. Ein Erbe wartet nun dort. Da fangen die Hoffnungen in der Heimat an aufzukeimen. Frau Prof. Dr. Nägler wäre schon froh um etwas finanziellen Zuschuss, denn "wieviele Füße zwölf Kinder haben, das können selbst Sie nicht ausrechnen," seufzt sie zum Pastor. Erfrischend natürlich spielt Anke Fulfs-Janßen die stets beschäftigte und doch so liebevolle Mutter, die ihrem sittenstrengen Gatten letztendlich mit einer großen Portion Menschenkenntnis und dem Wissen um die wirklich wichtigen Dinge im Leben haushoch überlegen ist.
Auch der Bürgermeister meldet sich lautstark zur Stelle, als er von einem möglichen Geldsegen hört. Da könnte man doch für die Gemeinde gleich eine Brücke bauen, stellt Herbert Köhler fest - und liefert gleich einen Namen für sie (- die noch einzuweihende Baltrumer Brücke?!) mit: "Prof. Dr. Traugott-Hermann Nägler-Brücke".
Bühnenbauer Gerd Klünder wandelt danach mit seinen Mitstreitern die Professorenstube auf dem Alten Kontinent mit Zauberhand in ein exotisches Entree in einem schönen Haus in Montevideo und entführt das Publikum samt den Reisenden in eine andere Welt.
Diese finden sich bei Madame de la Rocco ein. Ganz große Dame führt Gesa Puls den Herren Professor und Pastor vor, welch eine großartige Person doch die Schwester Josephine war, deren Porträt von der Wand lächelt und allgegenwärtig das Geschehen im Hause zu begleiten scheint. Lange bleibt offen, um was es sich bei dem Etablissement handelt - nein, eben nicht, was der Professor in seiner tugendhaften Ahnungslosigkeit unterstellt! Dort sind nämlich die allerhübschesten Mädchen nicht nur wie die reizende Belinda (Tina Neumann) beschäftigt, sondern werden auch gut erzogen, wie Raquel (Sarah-Ann Gray), Dolores (Johanna Linn) und Josephine (Jule Olchers) - die letzten drei sind in Doppelrollen die größeren Schwestern aus dem ersten Akt. Der Briefträger Karl-Heinz Koszollek überreicht ihnen wohl des öfteren Briefe und scheint froh über einen Kurzaufenthalt im Hause. Camencita (Eke Seiffart) endlich erklärt dem Herrn Pastor, was die jungen alleinstehenden Damen eigentlich den ganzen Tag treiben - nämlich tugendhaftes Sein mit solider Ausbildung, wie es die großherzige Schwester Josephine, zuletzt eine weltbekannte Sängerin mit großem Vermögen, für sich selbst gewünscht hätte.

Dieses Haus kann man getrost erben.
Aber als Joseph Flockert als Anwalt dem Professor lang und breit erklärt, welche Klausel hinter einem zusätzlich zu erbenden Geldbetrag steht, verschlägt es ihm dann doch den Atem.
Des Professors Tochter Atlanta (Ira Ulrichs), die älteste, hat sich daheim schon einen Bräutigam ausgeguckt. Henning Kremer gibt sein Debüt als begriffsstutziger, grundehrlicher, hoffnungsvoller junger Mensch, dem der Professor nicht zu vermitteln vermag, wie "die Suppe nach dem Nachtisch zu heiraten" sei. Zum Glück. Kommt jener doch nicht wirklich in die Bredouille, obwohl sein Gewissen arg strapaziert wird.
Wieder daheim klärt sich die Geschichte rasch zu einem glücklichen Ende, an dem Dank einiger unvorhergesehener Fügungen dem Erbe ein gerechter Platz und dem sittenstrengen Professor ein kleiner Denkzettel verpasst wird.
Martina Meyer-Leißner ist als Souffleuse wenn es sein muss schnell zur Stelle, Grace Lüppen hat die Kostüme ausgesucht und angepasst, Bärbel Nannen ist für die Maske zuständig und für Licht und Ton und die schönen Atlantiküberquerungen hat bei der Premiere Stefan Moschner in Vertretung für Heike Kremer-Roolfs gesorgt.
Der Inselbühne Baltrum ist ein herzergreifend nostalgisches Stück gelungen, das, obwohl es auch diesmal wieder um Geld geht, einen schönen Kontrast setzt zu den beiden anderen. Denn: "Wo viel Geld ist, sind viele Sorgen. Aber wo wenig Geld ist, sind noch mehr Sorgen!"
Im dreiwöchtenlichen Wechseln spielt nun "Volpone", "Und ewig rauschen die Gelder" und "Das Haus in Montevideo" mittwochs auf Baltrum in der Turnhalle.
Jetzt am Samstag Abend um 20.30 Uhr ist aber noch einmal "Das Haus in Montevideo" zu sehen. Weitere Aufführungen am 13. Juni. 4. Juli, 25. Juli, 8. August, 5. September und 26. September und vorraussichtlich am 10. Oktober.
Und die Moral von der Geschicht'? 
Die gibt es nicht. Es ist schlicht Klamauk ohne tieferen Hintersinn. Aber so etwas lieben die Baltrumer und ihre Gäste. Man will sich schließlich ja auch einmal amüsieren. Und in diesem Falle hat das Publikum zudem stets den köstlichen Vorzug, mehr zu wissen, als die Darsteller auf der Bühne es überhaupt je ahnen könnten.
Petra Sparenborg hat für den guten Ton und das rechte Licht gesorgt, Bärbel Nannen ist für die Maske zuständig, Grace Lüppen hat die Kostüme ausgesucht (und einige exquisite Requisiten beigesteuert), Torsten Moschner die Bühne entworfen und gebaut - und dankbar sind alle nicht zuletzt für die wunderbare Souffleuse Anneliese Neumann, die die Truppe so gut am Text hält.
Sollte man das so als Regisseurin selbst schreiben? Wie auch immer - diese Inszenierung hat arg Spaß gemacht! Die viele Arbeit im Winter hat sich offenbar gelohnt, die vielen Lachtränen, die wir bei den Proben vergossen haben, seien nun Ihnen, den Zuschauern, vergönnt. Vielen Dank an die Mitwirkenden!
Die nächste Aufführung ist erst in vier Wochen, am 23. Mai, weitere am 6. Juni, am 27. Juni, am 18. Juli, am 15. August, 29. August, am 19. September und eventuell noch eine im Oktober.

Eine weitere Premiere der Inselbühne wird mit ebenso viel Spannung erwartet: "Das Haus in Montevideo" von Curt Goetz unter der Leitung von Jürgen Janßen wird das Theaterprogramm auf der Insel Baltrum ab dem 18. Mai vervollständigen. Mit "Volpone" von Stefan Zweig als Wiederholung aus dem Vorjahr sind dann wieder drei Stücke im Wechsel wöchentlich mittwochs in der Turnhalle auf Baltrum zu sehen.

Zunächst aber bereiten sich die Mitglieder der Theatergruppe des Kultur- und Sportvereins Baltrum e.V. auf die Niedersächsischen Amateurtheatertage vor. Diese finden vom 27. April bis zum 1. Mai zum dritten Male auf der kleinsten ostfriesischen Insel statt. Die Inselbühne Baltrum eröffnet das Treffen am Freitag Abend mit "Volpone". 

Sabine Hinrichs 
Foto(s): Hinrichs