Ostersonntag abends ging es dann wieder
um die Erkenntnismöglichkeiten des menschlichen Geistes, diesmal mehr
um die Kraft der Vernunft im Gewirr aus rationalem Genie,
Leidenschaften, Vereinsamung, Gruppenzwängen und archaischer
Intuition: Die Inselbühne Baltrum, nach dem Tod ihres 35 Jahre lang
als Spielleiter wirkenden Wilhelm Klünder nun mehr multizentrisch
("teamatisch") von Jürgen Janssen geführt, brachte ihre
Version des "Schimmelreiter" von Theodor Strom (in der
Bearbeitung von Paul Barz ) zur Osterpremiere. Torsten Moschner gab
dem Protagonisten Hauke Haien dabei vielfach glaubhaften aktuellen und
personalen Bezug in der anklingenden Dialektik aus Einzel- und
Gruppeninteressen, aber auch in der speziellen Vereinsamung und
masochistischen Quälerei des ernsthaften Intellektuellen, der die
wichtigen archaisch-intuitiven Widerstände des "gemeinen
Volkes" nicht als Teil einer überindividuellen emotionalen
Intelligenz, sondern nur als Dummheit und Bequemlichkeit abtun kann,
dabei seine eigene ehrgeizige, kontaktgestörte Isolierung der
Erkenntnis vom Erleben nicht mehr spüren könnend.
Natürlich und vielseitig begabt zeigten sich auch die beiden fast gleich alten Inseljugendlichen Wendt Lotichius und Niels Klün (Jüm Olchers) in der Besetzung der beiden Gegenspieler Ole Peters und Hauke Haien als Jungen. Manfred Merker (nach unseren Recherchen erstmals mit einer Hauptrolle im Team) bereicherte die Leistung des gesamten Teams durch seine authentisch-ungebrochene Einfühlung in den bodenständig Macht-fixierten Großknecht Ole Peters ebenso wie Udo Bengen in der Rolle des väterlich-großherzigen, aber nicht mehr durchsetzungsbereiten Schulmeisters. Josef Flockert ("Jupp") fühlte sich in seiner Rolle als alter Deichgraf sichtlich wohl (zumal ihm der schnelle Rollen-Tod die rechtzeitige Fortführung seines Gastronomie-Betriebes ermöglichte), während Sabine Hinrichs in der Tragik ihrer Rolle als Tochter des alten Deichgrafes nachfühlbar entsprechend der Intention des Authors zu zerbrechen drohte, indem sie die Übermacht der "rationalen Ideen" ihres zum Deichgrafen durch Heirat aufgestiegenen Ehemannes nicht mehr begrenzen und einbinden konnte. Überragend in ihrer jugendlichen Verführungskunst als reiche Erbin Volina spielte sich Petra Sparenborg nicht nur in die Herzen und Begierden ihres Ole Peters, sondern mit ihrer bewußt thematisierten Aufteilung weiblicher Möglichkeiten ("hier für den Kopf und dort in der Kammer") in die geheimen Sehnsüchte manch artiger Zuschauer, die zugleich von der zunächst ahnungsvoll versponnen wirkenden, dann jedoch letztlich das abgespaltene und Hauke fehlende Bindeglied tiefer vorausahnender Intuition repräsentierenden Trin Jans (Bärbel Nannen) gebremst wurden, diesen Sehnsüchten zu großen Spielraum zuzugestehen. Max Zielinski als mitarbeitender Deichbauer wirkte in seinen wütenden Ausbrüchen dabei ebenso erfrischend wie auch zur Nachdenklichkeit anregend in seinen subtileren Unterscheidungen zwischen emotionalen Impulsen und zukunftsweisenden Wirklichkeits-Gewißheiten ("das muß aber deshalb nicht falsch sein!") der Haupt-Gegenspieler Hauke und Ole. Das Ende des von Paul Barz nach der Novelle von Theodor Storm erarbeiteten Schauspieles wirkte in seiner konkretistisch fassbaren Abwandlung des dichterisch mehrdeutig offengelassenen Endes des Original-Schimmelreiters inhaltlich und literarisch stark verkürzt (und nicht "verdichtet"), was aber dem Team um Jürgen Janssen nicht angelastet werden sollte. Wir freuen uns über Kultur in dieser basisgetragenen Form auf Baltrum auch weiterhin und glauben, daß mit dem Schimmelreiter eine Vorlage von hoher regionaler und aktueller Bezogenheit gewählt wurde. Das Publikum dankte es mit langem, impulsiv herzlichem Applaus. Wie immer gab es nach der Aufführung die Möglichkeit, mit den Schauspielern und dem Spielleiter auch noch persönlich in Kontakt zu treten. Die Baltrumfreunde Homepage der Baltrumfreunde: |