Das Feuerschiff

Aufführung der Inselbühne am 21. Mai 2003 auf Baltrum - Uraufführung

Hut ab vor dem Mut der Inselbühne Baltrum und ihrem Spielleiter Jürgen Janßen: Mit der Aufführung von "Das Feuerschiff" nach der Novelle von Siegfried Lenz bewies die Theatergruppe des Kultur- und Sportvereins auf Baltrum einmal mehr, dass auch eine Amateurbühne sich an große Literatur heranwagen und ein großartiges Schauspiel auf die Bühne bringen kann.

Es ist keine leichte Kost, "Das Feuerschiff". Menschliche Schwächen und Unzulänglichkeiten treten in der Enge eines Schiffes und in der Abgeschiedenheit auf See heftig zu Tage und stellen das Miteinander auf harte Probe - zumal wenn sich das scheinbar eintönige Treiben durch Unvorhergesehenes dramatisch zuspitzt.

Zur letzten Wache auf einem Feuerschiff in der Nordsee - es wird angenommen, es liege vor der Emsmündung - hat Kapitän Freytag seinen Sohn Fred eingeladen. Die beiden verstehen sich nicht sonderlich gut, haben sie sich doch auf die Jahre weit auseinandergelebt. Sven Exner spielt Distanz und Abneigung gegenüber seinen um Verständnis werbenden Vater (in der Hauptrolle: Jürgen Janßen selbst). Dieser hat seine Mannschaft auf dem Schiff bislang gut im Griff. Seine Mannen machen sich jetzt aber Gedanken um ihre Zukunft - während der Kapitän mit dem Schiff auf Rente geht, müssen sie irgendwie anders vorankommen. Da sind der alte Zumpe, von Peter Janßen als erfrischend tatkräftigen und zupackenden Matrosen dargestellt, der genügsame und etwas weltfremde Maat Gombert (Uwe Martens), der seiner Dohle das Sprechen beibringen will, der klar nach Vorschrift denkende und agierende Funker Rethorn (Hansjürgen Barow) und der allzeit aufgedrehte Maschinist und Koch Soltow (Markus Neumann), die die gewohnte Arbeit an Bord verrichten und die alle zusammen eigentlich, sollte man meinen, nichts aus ihrer Ruhe bringen kann. So fest und ziemlich unbewegt wie das Feuerschiff vor Anker liegt, so gleich und stetig ist der Tagesablauf an Bord. Es scheint aber nur so.

Denn in die Routine kommt mit einem Mal Bewegung. Auf einen Schlag ist alles anders. Sobald die Schiffbrüchige Edda resolut einen Fuß an Bord setzt, ändert sich der Ton, ändert sich fast das Licht, meint man das Andere und eine düstere Bedrohung fast spüren zu können. Tina Neumann behauptet sich in dieser Männerwelt selbstbewusst auf ihre Art. Die vermeintlich Hilfesuchenden, drei an der Zahl, entpuppen sich schnell als böse "Buben" und verschaffen sich durch Gewalt Gehör und Gehorsam an Bord. Oder versuchen es zumindest. Eddas Bruder Eugen ist dabei noch recht einfach gestrickt: Hau drauf und los, möchte man sagen, mit dem Kopf durch die Wand. Diese Rolle verkörpert Karl-Heinz Koszollek. Viel zwielichtiger ist dieser Dr. Caspary. Torsten Moschner spielt den Anführer der Räuberbande als durchtriebenen, gemeinen, hochgradig arroganten Zyniker, der dem Kapitän weit überlegen scheint.

Diese Mischung ist explosiv. Und spannend. Und wie die Geschichte ausgeht, soll an dieser Stelle gar nicht verraten werden, weil das müssen Sie sich unbedingt ansehen. Aber Sie können sich vorstellen, in welchen Zwiespalt, in welche Entscheidungsnöte ein Jeder angesichts des Übels geraten kann.

Jürgen Janßen hat die Vorlage von Siegfried Lenz als Bühnenfassung umgeschrieben und sie auf Baltrum zur Uraufführung gebracht. Das allein ist schon bedeutsam genug, wie ich meine. Er hat es aber auch geschafft, die besondere Atmosphäre der Novelle zu übersetzen. Ein Feuerschiff trägt immerhin genug Symbolik. Jürgen Janßen hat als Regisseur die "harte Seite" der Schauspieler gefordert, aber nicht auf die harte Tour. Die Baltrumer Schauspieler als seeerprobte Insulaner spinnen nicht nur Seemannsgarn sondern haben Wichtiges zu sagen. Das ostfriesische Platt in einzelnen Abschnitten lässt das Ursprüngliche und die Verbundenheit zum Meer offenbar werden. Beeindruckend ist die Dichte der Handlung, die Gewaltigkeit der Sprache Siegfried Lenzens, die in den Dialogen schön herausgespielt wird. Ein besonderes Schmankerl, sozusagen, ist das Auftreten des Rezitators (Detlef Szeklinski), der den Zuschauer als Zuhörer gleichsam in den Genuss einer Dichterlesung kommen lässt, das Publikum an die Hand nimmt, auf hohe See entführt und dabei geschickt eine Brücke schlägt zwischen einem "Vorher" und einem "Nachher".

Ein Möwenschrei, ein Wellenrauschen, das Plätschern des Wassers an der Bugwand - allein der Tontechniker (ganz neu dabei und gut eingearbeitet: Sven Ruhnke) hat sich so viel Mühe gegeben, den Gast mit an Bord zu nehmen, dass der sich eigentlich nur wundert, dass er nicht den festen Boden unter den Füßen verliert, sprich, dass er mit dem Schiff vor Anker auf und ab schwankt oder gar seekrank wird.

Das Bühnenbild haben die Mitspieler wieder selbst hergestellt und gezimmert und die Möglichkeit zum Umbau auf ein Wesentliches reduziert: Die Kapitänskajüte kann ganz schnell und ohne großes Aufhebens zum Funkerraum oder zur Messe umgestaltet werden. Sie sollten es sich patentieren lassen: Torsten Moschner, Sven Ruhnke, Peter Janßen und Frank Feldmann. Letzterer ist dieses Jahr zum ersten Mal als Bühnenbildner dabei und hat eindrucksvoll gezeigt, dass bei der Inselbühne weitere große Aufgaben auf ihn warten können.

Dass die Spieler auf eine Kostümberatung verzichtet haben, ist ein bisschen schade, tut aber dem Inhalt keinen Abbruch.

"Das Feuerschiff" ist ein Stück, über das man länger nachdenken muss (weshalb auch jetzt erst eine "Kritik" erscheint), weil so viele Aspekte zu beachten und zu betrachten sind. Es geht in dem Stück immerhin um große Verantwortung, echtes oder vermeintliches Heldentum und um die richtigen Entscheidungen im Leben.

Die Premiere fand am 3. Mai 2003 auf der Insel Baltrum vor beinahe ausverkauftem Hause statt. Souffleuse Hanni Kruse ist dabei nicht zu Wort gekommen. Weitere Aufführungen sind jetzt am Mittwoch, 21. Mai 2003 um 20.30 in der Turnhalle, am 8. Juni, 25. Juni, 16. Juli, 6. August, 17. September, 8. Oktober und am 29. Oktober 2003. Karten gibt es im Vorverkauf im Bücherwurm bei Familie Ulrichs oder an der Abendkasse.

Sabine Hinrichs